Warum zu viel Zucker uns dumm macht

Zu viele Kohlenhydrate machen nicht nur dick, sondern schädigen das Herz und lassen das Gehirn schrumpfen. Ärzte warnen vor übermäßigen Konsum. Trotzdem essen viele Deutsche viel zu viel Zucker.
Margaret Morris ließ ihre Probanden eine Woche lang nur essen, was eine durchschnittliche Cafeteria im Angebot hat. Croissants und Donuts, Käsestangen und Sandwiches, alles ziemlich zucker- und fettreich. Kein Problem, die Speisen kamen gut an. Nach einer Woche sollten die Probanden einige Denkaufgaben lösen. Da begannen die Schwierigkeiten. Morris erforscht an der University of New South Wales in Australien, wie sich die Abläufe in den Gehirnen von Übergewichtigen und Diabetikern verändern. Die Neuropharmakologin arbeitet dabei stets mit Ratten.
Nachdem sich die Versuchstiere mit dem Cafeteria-Futter vollgefressen hatten, bekamen sie die Aufgabe, Orte wiederzuerkennen oder Objekte zu finden, die von Morris und ihren Kollegen verrückt worden waren. Die Tiere sollten ihr Erinnerungsvermögen unter Beweis stellen. Für Ratten ist das normalerweise kein Problem, sie sind Orientierungskünstler. Diesmal gelang ihnen wenig.
„Als wir ihre Gehirne untersuchten, fanden wir massive Entzündungen im Hippocampus“, sagt Morris, „also genau in jenem Hirnareal, das beim räumlichen Erinnern eine zentrale Rolle spielt.“ Morris vermutete, dass das am Zucker lag.
 

Es gibt ein „Zuviel“ an Zucker

Zu viel Zucker macht Menschen übergewichtig, zersetzt ihre Zähne und kann den gefährlichen Typ-2-Diabetes auslösen. Die Spätfolgen der Stoffwechselkrankheit reichen bis zu Sehstörungen und dem Verlust von Gliedmaßen. Doch damit sind längst nicht alle möglichen Zuckerschäden aufgezählt.

Studien fördern immer mehr Gefahren zutage. Zu viel Zucker schädigt demnach auch das Herz. Und lässt das Gehirn schrumpfen.
Zucker ist Nahrung fürs Hirn, das erzählten die Großeltern, bis heute heißt es in Werbespots, dass man „schneller im Kopf“ wird, wenn man sich zwischendurch einen süßen Riegel einwirft. Es klingt eigentlich logisch, das Gehirn braucht Unmengen an Energie, und es bekommt diese Energie hauptsächlich aus Zucker.
Aber irgendwann wird es auch für das Gehirn zu viel. Die Leistungsfähigkeit des Organs nimmt Schaden. Die Dosis, ab der Zucker nicht mehr schneller, sondern langsamer im Kopf macht, wird von den meisten Menschen in ihrer Ernährung regelmäßig überschritten.
Die Forscherin Margaret Morris aus Australien wollte sich vergewissern, dass der viele Zucker die Ratten in ihrem Labor tatsächlich vergesslich gemacht hatte. Sie gab einer weiteren Gruppe der Tiere nur Zuckerwasser ins Futter. Wieder litt das räumliche Gedächtnis der Ratten, wieder reichte eine einzige Woche der Zuckermast, um die Schäden zu verursachen.
 

Das Gehirn nimmt Schaden

Die Indizien dafür, dass Zucker auch dem Gehirn von Menschen schaden kann, häufen sich. Forscher der Berliner Charité baten 141 gesunde Senioren zu einem Test, bei dem sie 15 Wörter eine halbe Stunde lang im Gedächtnis behalten sollten. Teilnehmer mit viel Zucker im Blut erinnerten sich an durchschnittlich zwei Wörter weniger, ihr Hippocampus war kleiner und schlechter strukturiert als der der Probanden mit niedrigerem Blutzuckerspiegel.
In einer englischen Studie fühlten sich Kinder nach einem süßen Frühstück zwar wach und selbstbewusst, doch ihre tatsächlichen Lernleistungen ließen nach. Die Erinnerungszentrale im Gehirn von Menschen wie Ratten wird von zu viel Zucker lahmgelegt.
 

Zucker macht das Herz krank

Auf eine Überdosis Zucker reagiert das Gehirn fast wie auf eine Vergiftung. So werden nur noch wenige Proteine für die Neubildung von Nervenzellen und Synapsen aktiviert, und der Hippocampus reagiert schlechter auf das Hormon Insulin, sodass es keinen Zucker mehr einschleusen kann. Beide Mechanismen verhindern einerseits, dass aktive Hirnzellen sich im Rausch des Zuckerüberflusses erschöpfen.
Andererseits stoppen sie die Zuckerzufuhr so entschieden, dass am Ende die aktive Hirnmasse, vor allem im Lernzentrum, deutlich schrumpft. Das könnte auch erklären, warum man unter Demenzpatienten viele Menschen findet, die große Zuckervertilger sind.
Zu viel Zucker kann nicht nur das Gehirn schrumpfen lassen. Der Stoff greift den Körper auch an vielen anderen Stellen an. Immer mehr Studien belegen diese Gefahren.

So entdeckten Forscher der US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Höhe des Zuckerkonsums und tödlichen Herzerkrankungen besteht. Das Herz leidet nicht nur unter dem Übergewicht, das durch den hohen Kalorienwert der süßen Speisen genährt wird. Der Zucker schädigt das Herz auch auf direktem Weg. Menschen, deren Ernährung zu mehr als 25 Prozent aus Zucker besteht, erleiden dreimal häufiger einen Herzinfarkt als diejenigen, die mit weniger als zehn Prozent Zucker auskommen.

 
Ist Krebs eine Folge des Zuckerkonsums?

Lewis Cantley von der Harvard Medical School in Boston ist sogar der Ansicht, dass sich ein Drittel aller Krebsfälle in Europa und den USA durch maßvollen Zuckerkonsum vermeiden ließe. Das ist bislang aber nur eine Hypothese. „Dass viele Krebsarten besonders oft bei Diabetikern auftreten, ist statistisch solide belegt“, sagt Cantley. Und dass Krebszellen viel Zucker für ihren Tempostoffwechsel brauchen, gilt ebenfalls als sicher. Möglicherweise profitieren sie also von einer allzu zuckerlastigen Ernährung.
Eine weltweite Epidemie haben Kekse, Kuchen, süße Frühstücksflocken und Limonaden längst ausgelöst. Die chronisch süße Ernährung der Gegenwart hat den Typ-2-Diabetes zu einer Massenerkrankung gemacht. Früher nannte man diese Form des Diabetes auch „Alterszucker“. Inzwischen behandeln Ärzte schon Vorschulkinder, die sich den Blutzuckerspiegel verdorben haben. In den letzten Jahren ist zwar klar geworden, dass auch Faktoren wie Bewegungsmangel, Erbgut und Übergewicht den Krankheitsverlauf beeinflussen. Doch zuvor desensibilisiert der übermäßige Zucker den Körper für Insulin und hebelt dadurch die Blutzuckerkontrolle aus.
 

Deutsche essen 100 Gramm Zucker pro Tag

Simin Liu von der Harvard School of Public Health hat Daten über Krankenstand und Ernährungsgewohnheiten ausgewertet, die zwischen 1909 und 1997 in den USA gesammelt wurden. Mit dem Zuckeranteil in der Ernährung stieg auch die Zahl der Diabetesfälle. „Der Anteil der Fette und Eiweiße in der Ernährung spielt hingegen für das Diabetesrisiko keine Rolle“, sagt der amerikanische Epidemiologe.
Gründe genug also, die Zuckerzufuhr einzuschränken. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass nicht mehr als zehn Prozent der Kalorien, die ein Erwachsener am Tag zu sich nimmt, aus Süßem stammen sollten. Noch besser sei es, mit fünf Prozent Zucker auszukommen, das entspricht etwa 25 Gramm.
Von diesem Wert sind die Menschen fast überall auf der Welt weit entfernt. In Deutschland und den USA vertilgen Erwachsene etwa 100 Gramm Zucker pro Tag. In Australien und Brasilien sind es etwa 160 und in Kuba sogar mehr als 200 Gramm. Die Menschen essen viel mehr Süßes, als sie essen sollten. Das liegt zum einen daran, dass Zucker ein enormes Abhängigkeitspotenzial hat. Und zum anderen daran, dass die Lebensmittelindustrie genau dieses Potenzial geschickt zu nutzen weiß.
 

Zuckersucht wird untersucht

Zucker übel© Getty Images

Im Durchschnitt isst jeder Deutsche pro Tag 100 Gramm Zucker. Das entspricht etwa 33 Zuckerwürfeln.
Viele Jahrtausende lang war Zucker für Menschen nicht leicht zu bekommen. Dass süße Speisen ständig verfügbar sind, ist evolutionär gesehen eine ziemlich neue Entwicklung. Das Gehirn, das eine gewisse Menge Zucker benötigt, reagiert immer noch euphorisch auf den Stoff. Wenn Süßes in den Verdauungstrakt gelangt, werden die Belohnungssysteme im Hirn aktiv.
Es kommt zur Ausschüttung von Dopamin, das für eine kurzfristige Befriedigung sorgt, die aber bald vom Verlangen nach noch mehr Zucker abgelöst wird. Der Übergewichtsforscher Robert Lustig von der University of California vergleicht Zucker deshalb mit Nikotin und anderen Drogen: „Wir können nicht genug davon kriegen.“ Wenn man Laborratten erst mit zuckerhaltiger Kost füttert und plötzlich damit aufhört, zeigen sie Symptome wie bei einem Heroin-Entzug.
Die Verführungskunst des Zuckers für den Menschen besteht auch darin, dass er appetitdämpfende Geschmackssignale, etwa Bitteres, überdeckt. „Alles wird genießbar, wenn man genug Zucker darüber streut“, sagt Lustig. Wer ein Lebensmittel verkaufen will, muss es nur mit Zucker anreichern.
Die Lebensmittelindustrie nutzt diese Erkenntnis. Nicht nur Marmelade und Nusscreme, sondern auch Würste, Ketchup, Räucherlachs, Käsecremes oder Salzstangen werden ordentlich gezuckert. Auch die Hersteller von vermeintlich gesunden Bio-Produkten machen mit. Eine Studie der Universität Hohenheim prüfte Müslis und Frühstücksflocken für Kinder, allesamt mit Bio-Siegel versehen. Pro 100 Gramm fanden die Forscher im Durchschnitt 22,5 Gramm Zucker. Damit bekommt ein Kind beim Frühstück schon mehr Zucker, als die WHO für einen ganzen Tag empfiehlt – für Erwachsene.